Studierende der HCU haben im Sommer ein Projekt mit jungen Refugees gemacht, in dem es um die Notwendigkeit und Gestaltung von Gemeinschaftsräumen im Wohlville Hamburg ging. Wichtiger Bestandteil der Forschung war eine relativ neue, bisher selten angewandte Methode: das Photovoice-Verfahren. Die Refugees bekamen Einweg-Kameras, um Eindrück aus ihrem Alltag in Hamburg festzuhalten. Orte, die ihnen gefallen, Orte, die ihnen seltsam vorkommen. In Interviews wurden diese Bilder dann besprochen. Die Projektdokumentation könnt ihr als PDF herunterladen.
Die Handlungsempfehlung der Studierenden für die Planung von WOHL ODER ÜBEL ist folgende:
„Der Anlass dieser Forschung war es, Ideen und Gestaltungsansprüche der jugendlichen Refugees zu ermitteln um damit den Konzeptionsprozess zur Umnutzung der St. Pauli Gewerbeschule zu unterstützen. Aus den gewonnen Erkenntnissen sollten Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, die der Initiative nutzen und mit denen sie die Neugestaltung weiter voran treiben kann. Im Folgenden werden nun also Empfehlungen formuliert, von denen die Initiative profitieren kann.
Privatsphäre ist wichtiger als Gemeinschaftsleben
Die zentrale Erkenntnis dieser Forschung ist es, dass die Jugendlichen aufgrund ihrer aktuellen Situationen ein, allem anderen übergeordnetes, Interesse an Privatsphäre haben. Dies zeigte sich sowohl in den Fotos, auf denen kaum Räume abgebildet waren, sowie in den anschließenden Fokusgruppen. Darauf angesprochen, warum sie denn in erster Linie Grünräume und weniger im inneren von Gebäuden fotografiert hätten, war die Antwort, dass sie sich in ihrer Freizeit kaum in Räumen aufhalten würden. Dies liege vor allem daran, dass sich die Mehrheit der jungen Refugees ihr Zimmer mit anderen Jugendlichen teilen und es für sie kaum möglich ist alleine zu sein. Zwar sind sie das nach eigenen Angaben auch in den Parks nicht, allerdings können sie sich hier zumindest ihre Gesellschaft aussuchen. Für die Gestaltung der Wohneinheiten in der St. Pauli Gewerbeschule bedeutet dies unserer Auffassung nach, dass bei der Erstellung von Grundrissen, Privaträume eine höhere Priorität zugestanden werden sollte als den Gemeinschaftsräumen. Dies könnte zum Beispiel eine Rolle bei der Proportionierung der Räume spielen. Wir halten es für möglich, dass
der Wunsch nach Gemeinschaftsräumen bei Menschen stärker ist, für die Privatsphäre kein Luxus sondern Normalität ist. Dies ist aber nach Aussagen der Refugees bei ihnen eher umgekehrt. Dies bringt uns zu dem Schluss, dass Gemeinschaftsräume zwar ohne Frage notwendig sind, dies aber nicht dem Hauptinteresse der Jugendlichen entspricht. Wie der Name „Gemeinschaftsraum“ besagt, ist eine seiner wichtigsten Aufgaben Gemeinschaftlichkeit zu erzeugen. Dies ist auch eines der formulierten Ziele des Projektes Wohlville. Im Laufe unserer Forschung kam in unserer Gruppe allerdings die Frage auf, ob das Ziel, statt der Förderung von Gemeinschaft eher die Schaffung einer lebendigen, solidarischen Nachbarschaft sein sollte. Nachbarschaft bedeutet Gemeinschaft mit der Möglichkeit sich zurückziehen zu können. Es könnte ein Ansatz sein, Gemeinschaft stärker über gemeinsame Aktivitäten zu schaffen als über gemeinschaftliche Räume. Die Liste der vorstellbaren Aktivitäten ist lang und würde sich idealerweise aus den Interessen der Bewohner*innen zusammensetzen.
Küchen als zentrale Orte
Im Gegensatz dazu ist die Küche zu betrachten. Hier wurde vor allem auf die fehlende Sauberkeit bereits existierender Gemeinschaftsküchen verwiesen. So ist auf einem Foto die Küche als negativ empfunden worden, da es dort dreckig sei. Ein wesentlicher Punkt des Ortes zum Kochen muss somit die Sauberkeit sein. Dies kann auch durch eine hohe Funktionalität der Küche erreicht werden. Durch die Funktionalität sowie der klar definierten Nutzung dieses Ortes kann die Sauberkeit leichter eingehalten werden. Aufgaben wie die Müllentsorgungund das Saubermachen von Arbeitsflächen, können durch große offenen Arbeitsflächen und leicht auswechselbare Mülltonnen erleichtert werden. Ein weiterer Aspekt der Küche, ist die Funktion als Treffpunkt. Im Gegensatz zu anderen Orten, auf denen immer wieder auf Privatsphäre verwiesen wurde, ist hier das Gemeinschaftliche als etwas positives wahrgenommen worden. So könnte die Küche die Funktion des Gemeinschaftsortes übernehmen. Eine Individualität und Gestaltung dieses Raumes ist nur bedingt möglich. Vielmehr sollte hier die Küche schon in der Planung als Gemeinschaftsraum mitgedacht und dementsprechend gestaltet werden. Neben der reinen Funktionalität sollte somit auch auf die Aufenthaltsqualität geachtet werden. So könnten hier Beispiele von Wohnküchen oder offen gebauten Küchen ein wesentlicher Anhaltspunkt sein. Auch Sitzmöglichkeiten und große Tische zu gemeinsamen Essensvorbereitung oder des gemeinsamen Essens, könnten den Wünschen entsprechen. Die Herausforderung ist einen Kompromiss zwischen Aufenthaltsqualität und Funktionalität zu finden.
Das Leben spielt vor der Tür
Wie in der Analyse der Fotos bereits beschrieben, war ein immer wiederkehrender Punkt das Aufhalten und Treffen von Freund*innen im Freien. Außenräume werden dabei auf vielfältige Weise genutzt. Ob dies an einem Mangel an attraktiven Innenräumen oder einer Vorliebe für das„Draußensein“ liege, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Für die Konzeption von Wohnungen in dem Schulgebäude gilt es vor allem im Hinterkopf zu behalten, dass für die Jugendlichen bisher ihr Wohnort nicht der zentrale Aufenthaltsort ist. Dies zeigte sich auch durch
die relativ großen Bewegungsradien, die uns die Refugees beschrieben. Es gilt zu beachten, dass es sich um Jugendliche handelt, die in einer für sie relativ neuen Stadt leben, in der es viel zu entdecken und zu erleben gibt und in der sich ihre Freundeskreise aus Jugendlichen zusammensetzen, die teilweise sehr weit auseinander wohnen. Für das Gebäude als Wohnort könnte dies bedeuten, dass es nicht in erster Linie als soziales Zentrum sondern als Schlafstätte genutzt werden wird. In diesem Fall stünde wieder Ruhe und Erholsamkeit im Vordergrund.
Leben im Grünen
Aus dem Fokus der Jugendlichen auf Grünräumen, Wäldern und Wasserlandschaften lassen sich aber auch Gestaltungsziele für die Umnutzung der Gewerbeschule ableiten. In unseren Gesprächen über die Fotos sowie über deren Wünsche generell wurde sich durchweg positiv auf „grüne Orte“ bezogen. Zwar ist es aus Platzgründen nicht möglich einen Park auf dem Schulgelände anzulegen, der Begrünung des Gebäudes einen hohen Stellenwert einzuräumen aber sehr wohl. Die bisher gesammelten Ideen aus der Nachbarschaft und der Initiative selbst entsprechen dabei bereits diesem Ziel. Das Anlegen eines Gartens im Hof sowie auf dem Dach scheint, vorausgesetzt dies ist statisch möglich, bereits beschlossene Sache zu sein. Die von uns gewonnen Erkenntnisse bestätigen die Sinnhaftigkeit dieser Pläne und befürworten das Vorhaben, Grünräume mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen. Hier bei fand sich unter den Befragten eine große Bereitschaft zur Mitwirkung. Über konkrete Sorten an Pflanzen hatten die Befragten keine dezidierte Meinung und konnten sich bspw. bei der Frage, Obst undGemüse oder Zierpflanzen nicht wirklich festlegen. Nur ein Jugendlicher formulierte klar den Wunsch die Möglichkeit zum Gemüseanbau zu haben, da er dies schon mit jungen Jahren getan hätte und heute vermisse. Daraufhin äußerten weitere ein Interesse an einem Obstund Gemüsegarten. Einen gewissen Anteil der bepflanzbaren Fläche für Nutzpflanzen zu verwenden halten wir daher für empfehlenswert.
Sport vor Ort
Das Thema Sport kam in den Gesprächen mit den Jugendlichen oft vor. Sportarten, die genannt wurden, waren meist Fußball, Schwimmen, TischtennisundVolleyball. OrtezumAusübendieserSportartensindgewünscht. Unserer Meinung nach, lässt sich dies bereits durch die vielen Angebote auf St. Pauli realisieren. Es bedarf somit keine geplanten Räumlichkeiten in dem Gebäudekomplex. Das nahegelegene Schwimmbad, die vielen kleinen Fußballplätze, die größeren Fußballvereine und umliegenden Parks bieten bereits ein großes Angebot an Sportaktivitäten.
Alles immer anders
Es wurde deutlich, dass Räume der gemeinschaftlichen Nutzung eine vielfältige Funktion besitzen müssen. Dies ist auf die unterschiedlichen Interessen der befragten Personen zurückzuführen. Die Jugendlichen, die Teilnehmende der Forschungsarbeit waren, haben ihre persönlichen Präferenzen verdeutlicht. Dies ist nur zum Teil auf andere Jugendliche übertragbar. Die Herausforderung ist somit auch den verschiedenen Wünschen der Gestaltung der Innenund Außenräume, der Gruppe der jugendlichen Refugees, gerecht zu werden. Eine Lösung
wäre es Räume zu schaffen, die die Möglichkeit der Aneignung der Nutzer*innen bieten. Der Aspekt der Eigeninitiative der Nutzung sowie der Gestaltung, ist ein Wichtiger. In den Gesprächen und durch die Fotos wurde auch das Interesse an ästhetischer Gestaltung deutlich. Ist die Funktion der Räume vielfältig oder noch nicht genau bestimmt, lassen sich diese Wünsche leichter verwirklichen. Die Räume selbst ermöglichen so, wie auch die gewünschten privaten Räume eine Individualität, die auch mit einem gewissen Empowerment einhergeht. Die Selbstbestimmung ist durch die Möglichkeit der Gestaltung gegeben. So kann jede Generation von Bewohner*innen die jeweiligen Räume psychisch und physisch aneignen und schafft somit eine hohe Identifizierung mit diesen. Die verschiedenen geäußerten Interessen, wie bspw. ein Ort für Musik würde dadurch nicht dauerhaft bestehen sondern nur soweit die Nutzer*innen es für wichtig halten. Die Architektur müsste hier einen wandelbaren bzw. flexiblen Ort ermöglichen.
Hauptsache sitzen?
Im Bezug auf die Möblierung von Gemeinschaftsräumen unterschieden sich unsere Vorstellung der Wünsche deutlich von den, durch die Refugees, tatsächlich formulierten. Zu Beginn des Projekts gingen wir davon aus, dass die Jugendlichen in wenig gemütlichen Unterkünften leben und sich nach wohnlicheren Räumen inklusive bequemer Möbel sehnen. Heute haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass für die Jugendlichen vor allem die Funktionalität im Mittelpunkt steht. Ersichtlich wurde dies zum Beispiel daran, dass uns eine Gruppe erzählte ihr Lieblingsort bei schlechtem Wetter sei ein „McDonald’s“. DieAntwort auf die Frage warum dies so sei war sinngemäß, dass sie dort immer einen Platz finden könnten, egal wie groß die Gruppe sei. Da die Stühle nicht angeschraubt seien, könnten sie je nach Bedarf zu einem Tisch hinzu gestellt werden. Dass die Stühle eines Fast-Food-Restaurants nicht besonders bequem sind, sei dabei Nebensache. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Jugendlichen bequemen Möbeln völlig gleichgültig gegenüber stehen. Hätte „McDonald’s“ Sofas, wäre das auch nicht schlecht, so die Jugendlichen, nur sei das eben nicht wichtig. Für die Gestaltung von Gemeinschaftsräumen spielt also insbesondere die Flexibilität von Sitzmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Verschieden große Gruppen müssen sich ihre Sitzmöglichkeiten schnell „zusammenstellen“ können. Fahrbare Sofas, leichte Hocker oder bequeme Klappstühle könnten hierfür Lösungen sein. Hierfür bräuchte es Räume, die nicht zu verwinkelt und zu durchgeplant sind, um die Beweglichkeit des Mobiliars nicht zu stark einzuschränken.
Mehr Ideen für ein gelungenes Haus
Während unserer Forschungsarbeit wurde eines deutlich, nämlich dass die Jugendlichen mit denen wir uns treffen konnten große Lust daran haben sich an Workshops, Fokusgruppen und generell der Ideenproduktion zu beteiligen. Es hat sich auch gezeigt, dass sie nicht einfach versucht haben beim Fotografieren unseren Wünschen zu entsprechen sondern selbstständig Motive gewählt haben, die sie für relevant hielten. So wurde unser Augenmerk auf Aspekte von Wohnen und Gemeinschaft gelenkt, die wir im Vorfeld ohne diesen Austausch anders bewertet hätten. Diese Arbeit liefert kein abschließendes Er-
gebnis darüber, wie öffentliche und halb-öffentliche Räume innerhalb des Gebäudes idealerweise aussehen sollten. Wir halten es für sinnvoll und notwendig sich in Zukunft noch weitere Gedanken zu Möglichkeiten zur Ideenproduktion zu machen und weitere Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen. Wertvolle Erfahrungen wurden hierfür bereits von Projekten wie, der mittlerweile recht bekannten PlanBude , gesammelt. Bereits bewährte Erhebungsmethoden, einer Planung auf Augenhöhe gilt es zu ergänzen und neue Methoden zu konzipieren. Besondere Herausforderung hierbei wird es sein, Menschen zum Mitmachen zu bewegen ohne ihnen, im Hinblick auf die bisher fehlende Planungssicherheit den Eindruck zu vermitteln, ihr Einzug sei bereits garantiert. Unsere Erfahrungen haben die vielfach formulierte Annahme, Motivation zur Beteiligung sei dann am größten, wenn ein direkter Bezug bestehe, bestätigt und es wäre wünschenswert, wenn Ideenwerkstätten o.Ä. mit Menschen veranstaltet werden können, die eine konkrete Aussicht auf einen Einzug in das Gebäude haben. Es wurde aber auch deutlich, dass es durchaus ein Interesse daran gibt sich mit Ideen einzubringen, auch wenn das Ziel noch in weiter Ferne zu liegen scheint.“